Essays

Mit Kopfrechnen zum Textblock – Handsatz aus Bleischriften

„Nach Anlage A des Deutschen Buchdruckertarifes ergibt sich im Handsatz eine stündliche Satzleistung von rund 1540 Buchstaben für 8-10 p Antiqua und rund 1600 Buchstaben für 8-10 p Fraktur, … bei einer Satzbreite von mehr als 45 Buchstaben …“ und

„Bei glattem Satz beträgt die Ablegezeit etwa einViertel der Satzzeit, bei Akzidenzsatz mit vielen Zier- und Steckschriften etwa ein Drittel der Satzzeit.“

So zu lesen in „Die Gehilfenprüfung als Schriftsetzer“ von Walter Mehnert aus dem Jahr 1961.

Künstlerbuch: Band 5 der Reihe „Posito … Gesammelte Makulaturen“

Letter für Letter zur Kolumne – Seite für Seite zum Buch

Einblattdruck: William Shakespeare Sonnet 89

Die angegebene Satzleistung für eine Stunde entspricht ganz grob der Menge Text auf einer halben DIN A4-Seite in einem der uns heute vertrauten Textverarbeitungsprogramme. Der Schriftsetzer hantiert bei seiner Arbeit allerdings nicht ausschließlich mit Buchstaben. Er muss auch die Wortabstände und die Zeilenzwischenräume setzen. Der Begriff „setzen“ kommt dabei nicht von ungefähr: er will verstanden sein im Sinne von „einen Platz zuweisen“. Es werden beim Handsatz also den Buchstaben, den Wörtern und den Zwischenräumen ihre festen Positionen zugewiesen. Insofern hat Handsatz stets auch mit Gestalten zu tun. Und weil das Setzen der Buchstaben Sache des Schriftsetzers ist, haben von jeher die Drucker darauf bestanden, dass die entsprechenden Fehler Setzfehler sind und keine Druckfehler. Lediglich der Schweizerdegen konnte sich da nicht so einfach rausreden. Als Schweizerdegen wurden Mitarbeiter bezeichnet, die sowohl das Druckergewerk als auch das Schriftsetzerhandwerk gelernt hatten. (Die Bezeichnung nimmt Bezug auf den Schweizer Degen, eine Waffe des Schweizer Militärs, die sowohl als Stich- wie auch als Hiebwaffe gebraucht werden konnte.) 

Werkzeuge für den Handsatz: Fadenzähler, Ahle, Pinzette, Winkelhaken, Typomaß

Die Wortabstände werden beim Handsatz aus Spatien, Gevierten und Quadraten gesetzt. Sie alle gehören zum sogenannten Blindmaterial. Es nennt sich blind, weil es beim Drucken keine Farbe aufnimmt, und also im Druckbild blind, nämlich unsichtbar bleibt.

Blindmaterial

Das Blindmaterial ist systematisches Material, das heißt: es ist ein ausgeklügeltes Baukastensystem, mit dem sich jede Distanz zusammensetzen lässt. Daher gibt es auch Halb-, Viertel- und Drittelgevierte. Ein Geviert hat einen quadratischen Querschnitt, das heißt seine Breite entspricht genau dem Schriftgrad der verwendeten Schrift. Konsequenterweise ist das Halbgeviert nur halb so breit wie die Schrift hoch ist; entsprechendes gilt für Drittel- und Viertelgevierte. Damit wird auch deutlich: es gibt spezielles Blindmaterial für jede Schriftgröße – vom Schriftgrad 6 Punkt, auch Nonpareille genannt, über die gängige Größe von 12 Punkt, auch Cicero genannt, bis hin zum handlichen Grad von 28 Punkt (Doppelmittel). Selbstverständlich gibt es auch kleinere Schriftgrade (Nonplusultra sind 2 Punkt) und größere. Letztere werden in der Regel in Vielfachen von 12 Punkt, also in Cicero angegeben. So gibt es Plakatschriften, bei denen die Lettern dann aus Holz gefertigt sind, in Größen von 16 Cicero und größer. 

Plakatschrift

Ganz feine Spatien, die dünner sind als 1 Punkt, sind aus Messing gefertigt. Das ist elastischer als das Material aus der Bleilegierung, und die zarten Plättchen brechen nicht so leicht.
Wer mit dem Maßsystem der Schriftsetzer nicht so vertraut ist, kann sich die Größenverhältnisse folgendermaßen vorstellen:

1 Punkt entspricht 0,376 Millimeter
1 Petit (Schriftgrad 8 Punkt) entspricht 3 Millimeter
1 Cicero entspricht 4,51 Millimeter
Zeilenabstände werden mit Regletten gesetzt. Das sind lange Stücke Blindmaterial. Die dünnsten sind 1 Punkt fein.

Schriftgrade

Wenn der Text für ein Werk korrekt gesetzt ist, und alle Seiten fehlerfrei gedruckt sind, dann wird – noch in der Druckpresse – alles sorgfältig gereinigt und danach kommt das Ablegen. Alle Buchstaben, Spatien, Gevierte, Quadraten und Regletten müssen wieder sorgsam dorthin zurück gelegt werden, wo sie hingehören. Die Buchstaben werden in den richtigen Schriftkasten und dort in die korrekten Fächer gelegt, das Blindmaterial in die entsprechenden Regale bzw. Blindmaterialkästen einsortiert. Wird hier nicht sorgfältig gearbeitet, dann muss das beim nächsten Projekt bitter gebüßt werden. Sind Lettern im richtigen Schriftkasten, aber dort in ein falsches Fach gelegt, nennt der Setzer sie Fische. Werden Lettern gar in einen Schriftkasten gelegt, in den sie nicht gehören, dann sind es Zwiebelfische. 

Schriftkasten und seine Belegung nach Norm

Ein Schriftsetzer, der bereits im Ruhestand war, erzählte mir einmal, dass gekündigte Kollegen an ihrem letzten Arbeitstag oft das Ablegen nach Sämannart praktizierten: Sie nahmen eine Handvoll Lettern und streuten sie schwungvoll über einem Schriftkasten aus, wo sich die Lettern dann willkürlich über die streng nach Norm belegten Fächlein verteilten. Der Kollege, der als nächster mit dieser Schrift zu arbeiten hatte, hatte dann seine liebe Not damit. Die Schriftsetzer konnten ihre hohe Setzleistung nur erreichen, indem sie die Lettern blind, also ohne nachzusehen, aus den Fächern im Setzkasten griffen. Sie mussten sich darauf verlassen können, dass in den jeweiligen Fächern des Schriftkastens nur die richtigen Buchstaben lagen. Jede falsch liegende Letter ergab dann einen Setzfehler, der sich im Andruck zeigte, und korrigiert werden musste.

Künstlerbuch: „Mir fehlt ein Wort“ über Kurt Tucholsky

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